Lindemann & Stroganow

Jubiläen zum Jubeln / Die Russen kommen

Gelesen von Hans-Jörg Hennecke und Kersten Flenter

Video: Christine Kraatz-Risch - Musik: Wohnraumhelden

Jubiläen zum Jubeln

Von Hans-Jörg Hennecke

365 Jahre Vierfruchtmarmelade - hätten Sie es gewußt? Natürlich nicht, die Jahreszahl ist frei erfunden. Sie macht nur eines deutlich: die Jubiläen rauschen derzeit durchs Land, dass man mit der Feierei gar nicht nachkommen kann. Die meisten schauen und hören schon gar nicht mehr hin – was zuviel ist, ist zuviel. Westlich der Ihme spart man zudem seine Puste für das nächste Jahr: 900 Jahre Linden, das ist einfach mehr als alle runden Daten ansonsten gebündelt.

Manche feiern nur noch sich selbst und ihre Hobbies. 20 Jahre dritte Zähne – ist das nichts? Oder die neue Bleibe des Wurstfabrikanten Ulrich H. aus M. Ziemlich ungewöhnlich und ganz ohne Champions-League-Bonus.

Wer es besonders exotisch möchte, dem sei ein Jubiläum ans Herz gelegt, das kaum jemand berücksichtigt: 1714 – 300 Jahre Personalunion, als der König von Hannover wegen der engen Verwandtschaftsverhältnisse gleichzeitig König von England war. Das könnte die verkniffenen Windsors heute glücklich machen. Sie würden wohl sofort zugreifen. Geht nicht, mangels König in unserem Leineschloß. Dabei war uns das britische sprachlich einstmals so eng, daß man nur staunen kann. Ich habe es in der eigenen Biografie erlebt. Unsere Familie stammt väterlicherseits aus Salzhemmendorf im Kreis Hameln-Pyrmont. Man kommt da über Springe, Hameln oder Coppenbrügge hin. Mit dem Auto ein Katzensprung, früher mit der Eisenbahn eher eine Weltreise.11.100 Einwohner hat der Flecken. Diese Bezeichnung besagt, dass dieses Dorf einige städtische Rechte besitzt, die heute noch gültig sind. Ansonsten gibt es da Fertighäuser und ein Solebad – man muss es nicht unbedingt gesehen haben. Das war in der frühen 50er Jahren anders. Da wurde in den Städten Kohldampf geschoben und auf dem Land im November geschlachtet. Die Schweine hatten keine spärlichen 100 Kilo, sondern lagen fettreich zwischen 200 und 250 Kilo. Welch ein Genuß, der jährliche Besuch bei Onkel und Tante. Was mich neben der fettreichen Ernährung beeindruckte, waren englischsprachige Ausdrücke, integriert in die ländliche plattdeutsche Sprache. Ohne fremdsprachliche Schulbildung schrieb man also beispielsweise - ich erinnere mich genau an diesen Aushang – auf eine Pappe, die neben die Haustür genagelt wurde: Door tau maken. Das hätte kein Engländer geschrieben und der Autor hatte ganz sicher keinen fremdsprachlichen Unterricht genossen. Door tau maken – jeder Engländer würde das verstehen können und jeder Einheimiche wußte, was von ihm erwartet wurde. Das war Personalunion in der Praxis. Heute können die Kids nur noch das bißchen Englisch, das ihr Computer abfordert. Schließlich wird er ihr einziger Freund.

„You can say you to me.“ Nun, wenn es denn hilft...

Die Russen kommen

von Kersten Flenter

Die Ichnennmichpolitiker-Kaste echauffiert sich über Putins Annexion der Krim, und schön hör ich Stimmen wie in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Die Russen kommen! Stroganow hat sogar schon sein Sortiment erweitert und statt der Zehnliter-Partyflaschen Wodka-Mixgetränke für die Jugendlichen Wochenendausschweifungen wieder reinen, 98%igen Wodka ins Sortiment genommen. Woher rührt denn unsere Angst vor einer Westerweiterung der Oligarchen-Föderation?, fragt Stroganow, Sie sind doch schon längst da. Schaut euch nur mal die zu Tausenden vergessenen leeren Wodkaflaschen in Straßen und Grünflächen nach einem durchschnittlichen Lindener Wochenende an. Schaut in die Jacobsstraße.Mittelschmidt, der gerade ein Praktikum als Altenpfleger macht, hat eine Begründung parat: Was die Russen wirklich von uns wollen, sind unsere Rentner. Während hierzulande die Immobilienhaie sich dumm und dämlich mit der Errichtung oder feindlichen Übernahme von Altenheimen verdienen, stirbt der Russe bereits in einem Alter, in dem unsereins zum Teil noch nicht einmal in die Langzeitarbeitslosigkeit outgesourct wurde.

Ich seufze. Ich denke, der Kern der ganzen Angelegenheit ist noch gar nicht erfasst, und kümmert sich eigentlich noch jemand um die Ukraine? Als ob Völkerrechtsverletzung für uns ernsthaft ein Thema sei! Natürlich kann das Gros unserer Politiker nicht so einfach wie Altkanzler und Putin-Versteher Schröder lapidar seufzen, „Na und? Hab selbst auch das Völkerrecht verletzt im Kosovo-Krieg.“ Aber was des Amerikaners täglicher Job in der Welt ist, nämlich das Selbstbestimmungsrecht von Bürgern und Völkern mit Füßen zu treten, was in Arabien und Afrika an der Tagungsordnung ist, stört uns ausgerechnet bei dem Land, dem die Fracking-Brothers gerade unsere komplette Energieversorgung verscherbeln.

Hat eigentlich schon mal jemand gemerkt, fragt Stroganow, dass Russland und die USA dieselben Farben auf der Flagge haben? Rot, weiß und blau. Das ist doch kein Zufall. Natürlich nicht, sage ich,die Farben symbolisieren ja ihre gemeinsamen Eigenschaften – blau für trunkene Unzurechnungsfähigkeit, weiß für die lupenreine weiße Weste ihrer demokratischen Strukturen und rot ist das Gesicht ob der Scham, dass sie so einfach machen können was sie wollen, ohne dass ihnen mal jemand den Stinkfinger zeigt.

Also, ich freu mich auf die russische Kultur, sagtMittelschmidt, besonders auf die Matrjoschka-Puppen. Die bieten so eine schöne Beschäftigung, derer ich nie müde werde. Du öffnest Puppe um Puppe um Puppe, und ganz am Ende, in der allerletzten Puppe, da findest du die Essenz der Dummheit, des Menschen, dieser sich selbst spielenden Marionette.

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