Lindemann & Stroganow

Hans-Jörg Hennecke und Kersten Flenter

Wenn am Sonntag Sonntag wäre / Fährmannfestpolitik

Video: Christine Kraatz-Risch - Musik: Wohnraumhelden

Wenn am Sonntag Sonntag wäre

Lindemann fragt sich brennend nach dem Sinn von Wahlen mit persönlichem Erscheinen der Wähler. Meinungsforscher sind zu jeder Tages- und Nachtzeit aktiv, wissen mit präziser Sicherheit, wo dem Wahlvolk der Schuh drückt und dass Steuererleichterungen populärer sind als Steuererhöhungen.
Lindemann weiß, das man diesen Tatbestand Mediendemokratie nennt. Er bekennt sich hemmungslos zu seiner Wirkung, seit er jüngst selbst zu den Auserwählten gehörte, die zum repräsentativen Querschnitt unseres Volkes ernannt wurden.
„Hier ist das Meinungsforschungsinstitut Forsa, Braukmeier am Telefon. Herr Lindemann, was würden Sie wählen, wenn am Sonntag Bundestagswahl wäre?“
„Sonntag ist keine Bundestagswahl“, belehrte Lindemann den Meinungsforscher. „Richtig. Aber wenn am Sonntag...“
Lindemann wurde verdrießlich. „So kann man die Frage nicht stellen.“ „Lieber Herr Lindemann“, versuchte es der Forsa-Erheber geduldig. „Die Frage steht auf meinem Erhebungsbogen und deshalb kann man sie nicht nur so stellen, ich muss sie so stellen.“
Lindemann dachte an das Wahlgeheimnis und darüber hinaus an die Tatsache, dass Forsa sowieso weiß, wie das Wahlvolk entscheidet, er sich mit einer exotisch scheinenden Antwort vielleicht gar lächerlich machen könnte.
„Ich bin ganz unsicher, ob ich vielleicht den Joker nehme?“ Der Meinungsmann begann zu Grummeln. „Dies ist kein Quiz und wir sind nicht im Fernsehen. Sie werden sich aus dem Dutzend Parteien doch eine auswählen können, ansonsten fragen Sie Ihre Frau. Frauen entscheiden nämlich heute Wahlen, sie sind eindeutig in der Mehrheit.“
„Bei mir nicht“, bekannte Lindemann, „ich bin ledig und meine Partnerin ist gerade nicht da. Könnten Sie mir nicht wenigstens einen kleinen Tip für die richtige Antwort geben.“
Forsa wurde ungeduldig. „Sie sind also Nichtwähler, schreibe ich in den Bogen.“ „Nein, nichts da. Ich habe bisher an jeder Wahl teilgenommen, so schwer es auch fiel.“ „Und was haben Sie beim letzten Mal gewählt?“
Lindemann schüttelte den Kopf. „Das ist verjährt, außerdem haben Sie doch die Meinungsumfragen vom letzten Mal noch. Ich kann mich auch nicht mehr so genau erinnern.“ Der Forsa-Mann dankte entnervt. Lindemann durchdachte das Gespräch und staunte nicht schlecht, wie aus diesen Erhebungen so punktgenaue Wahlvorhersagen entstehen konnten.

von Hans-Jörg Hennecke

Fährmannfestpolitik

„Schau dir das an: dreißig Meter Schlange an der Kasse! Hat es das beim Fährmannsfest schon mal gegeben?“ „Na klar.“ „Und wann bitte?“ „Weiß ich doch nicht. Glaubst du, ich war schon EIN MAL mit klarem oder erinnerungsfähigen Kopf hier? Und du musst ja nicht reingehen. Du hast die Wahl.“ „Erinner mich nicht daran!“
Jedenfalls spielen gleich TEN YEARS AFTER. Das ist Pflichtprogramm.“ „Elendes Altrockgefrickel, oder?“ Zugegeben, kompetent und souverän vorgetragen. „Das ist kurzsichtig“, erklärt Stroganow nachdenklich. „Es kommt nicht auf die Musik an – du gehst hin, um die Tatsache zu würdigen, dass diese alten Männer die Musik schon so lange machen. Es handelt sich hier um Rock, den man nicht mögen muss, sondern wertschätzt.“ „Ach so“, sage ich. Wir überqueren die Justus-Garten-Brücke, wie es schon seit jeher die Pilger und die Vorväter der Pilger und der Pilgerväterväter taten. Und fühlen uns ausnahmsweise auf einem Konzert angenehm jung beziehungsweise endlich einmal unter Männern, die ihre Hosen noch an der richtigen Stelle tragen. Und nirgends Ronald Pofalla. Das Leben kann schön sein. Und das weiß auch Ulla Schmidt. Wo ist eigentlich Ulla Schmidt hin? Stroganow errät wie immer meine Gedanken. „Nicht auf team-steinmeier.de jedenfalls.“ „Stimmt. Die Arme muss jetzt bis zur Wahl auf der stillen Treppe sitzen.“ „Glaubst du, sie schaffen es auch ohne sie nicht?“ „Aber natürlich. Inhaltsneutrale Floskeln haben sie genug: Wir müssen verstärkt das Widerstandspotential der Kultur wieder erkennen, sagt Barbara Kisseler. Das finden wir doch auch.“ „Klar, deshalb sind wir ja hier. Wir widerstehen noch allem, was mit Kultur zu tun hat.“ „Siehst du“, erklärt Stroganow, „das erklärt wieder einmal, warum Rock’n’Roll und Politik nicht zusammen passen: Politiker muss man weder mögen noch wertschätzen, und schon gar nicht müssen sie von dem was sie tun etwas verstehen.“ „Das ist doch Stammtischgerede“, protestiere ich, als meine Aufmerksamkeit auf die Bühne gelenkt wird. Mein Gott!: „Muss es denn jetzt auch noch ein Schlagzeugsolo sein?“
„Dummkopf“, sagt Stroganow, „das verstehst du genauso wenig – das Schlagzeugsolo an und für sich dient seit jeher dazu, den restlichen Bandmitgliedern während des Konzerts die Gelegenheit zu einem erfrischenden Drogengebrauch zu geben. Ein Schlagzeugsolo ist okay.“ „Ich verstehe.“ Wo ist eigentlich Dete Kuhlmann hin?

von Kersten Flenter

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