Lindemann & Stroganow

Vorweihnachtliche Finsternis / Es kommt ja, wie es kommt

Gelesen von Hans-Jörg Hennecke und Kersten Flenter

Video: Christine Kraatz-Risch - Musik: Wohnraumhelden

Vorweihnachtliche Finsternis

Von Hans-Jörg Hennecke

Der Finger war riesig und hinter dem Finger äugte ein gieriges Monster. Mein rechtes Augenlied wurde vom Monster unbarmherzig immer höher gezogen. Das musste das Ende sein. Der Übergang von hier zum Jenseits, zum Endgültigen und Endlosen. Ich lag im Bett und dort sterben bekanntlich die meisten Menschen, wenn sie nicht gerade in Chikago oder Moskau wohnen. „Opa, bist du schon wach?“ Die süße Kleine schob mit ihrem Mini-Winz-Finger mein rechtes Augenlid immer höher. Aus der Küche rief Oma so drohend wie andere eine Einladung zum Eis mit Schlagsahne offerieren: „Warte bis Opa wach ist“.
Also war Sonntag, also war die süsse Enkelin wieder bei uns geparkt.
„Opa, ich möchte Kinderfernsehen.“ Wer kann dem süssen Fratz widersprechen. Ich zappte mit der Fernbedienung durch den Kabeldschungel.
„Ja Opa, das.“ Auf dem Bildschirm grasten dösige Zeichentricktiere und taten wichtig. Solchen Quatsch gab es zu meiner Zeit nicht. Dafür natürlich anderen Quatsch, gab ich mir ganz privat in ehrlicher und pädagogischer Selbstüberprüfung zu. Ich werde es der Kleinen gegenüber verschweigen: Aber damals gab es natürlich noch kein Fernsehen.
Nach hahnebüchenen Erklärungen eines dickbäuchigen Bären verschwand das Fernsehbild. ,Werbung‘ stand da. Und dann ging es Schlag auf Schlag. Barbie-Puppen, Barbie- Häuser, Barbie-Pferde, Barbie-Hausschuhe. Das geht ja nun seit Jahren so. Hört das denn nie auf? Barbie! Aus meiner Sicht völlig unbrauchbar, dafür teuer. ,Bald ist Weihnachten‘, suggerierte die Werbung. Verlogene Bande, Abkassierer, bald ist vielleicht die große Grippewelle.
„Das möchte ich vom Weihnachtsmann“. Die Kleine deutete mit dem Weck-Finger auf die hässlichste aller Barbies.
„Nein“, konterte ich spontan. „Das ist hässlich, doof und nur Werbung, damit wir unser gutes Geld in Müll investieren.“
„Kein Geld“, lächelte sie lieblich. „Ich wünsche mir die Puppe vom Weihnachtsmann.“ Aufgeregt rannte sie in die Küche zur Oma und ich ahnte: jetzt werde ich von den anwesenden Frauen zum Weihnachtsmann in Sachen Barbie gemacht. „Alle Kinder lieben Barbie-Puppen, das geht vorüber. Jede Generation hat ihre Vorlieben“. Oma bahnte den Weg wie die bekannten Autos im Fernsehen, die jede Straße befahrbar machten.
„Das Fernsehen hetzt schon die Kleinsten zum Konsumterror auf. Die werden als Geiseln gegen Eltern, Omas und Opas benutzt“, versuchte ich eine letzte schwache Flucht. „Barbie hat Haare wie Opa“, sprach das Mini- Winz. „Mama hat gesagt: Ist Silber.“ Danach wühlte sie in meinem ergrauten Haar. Ich wusste in diesem Moment, dass die Mächte vorweihnachtlicher Finsternis gesiegt hatten.

Es kommt ja, wie es kommt

von Kersten Flenter

Stroganow versucht in seiner diplomatischen Art, unseren Streit zu schlichten: „Seht es doch mal positiv – das kurbelt das Glasereigeschäft im Stadtteil an.“ Das überzeugt mich nicht. Ich brauche nicht noch einen Supermarkt auf der Limmerstraße, erst recht nicht, wenn er sich mit dem Pestwort „Bio“ anstreicht. Es ist kaum zu fassen, was seit einigen Jahren alles biologisch ist: Käse, Fleisch, sogar Milch! Autos fahren mit „Bio-Sprit“ und Ausbeutersupermärkte nennen sich Biomarkt. Und ich frage mich wirklich, ob nicht doch der ein oder andere Lindener oder gar eine Lindenerin dort einkaufen gehen wird. Anfangs vielleicht noch verkleidet, nach zwei Wochen das erste Mal mit Kind im Kinderwagen und nach drei Monaten ist das Thema sowieso gegessen. Alles so schön grün da, und das mit dem Lohndumping und dem Lieferantendruck ist bestimmt nur böses Gerücht. Ja, ich rege mich auf, na und? Mittelschmidt sieht es von der lockeren Seite und gibt das alte Statement ab, dass auch dieser Laden nicht mal seinen eigenen Namen schreiben kann, aber das besänftigt mich leider gar nicht. „Jetzt reg dich doch mal ab“, sagt Mittelschmidt, in einer Menge Häuser gab es mal Einzelhandelsgeschäfte, bevor dort Supermärkte einzogen. Früher hatten wir auch nen Papst.“ „Blödes Totschlagargument“, meine ich, „erstens hatten wir in Linden noch nie einen Papst und zweitens muss man nicht immer alles mitmachen!“ „Ach was“, sagt Mittelschmidt. „Worum geht es hier eigentlich?“, möchte Stroganow wissen. „Es geht darum, dass es funktionieren wird“, sage ich, „der Supermarkt unterstützt die bizarren Praktiken seines Vermieters und der Kunde unterstützt die bizarren Praktiken seines Supermarktes und am Ende will wieder keiner beteiligt sein.“ „Ach was“, sagt Stroganow, „ich vertraue auf den selbstbewussten und aufgeklärten Lindener , der seine bewusste Kaufentscheidung trifft. Und die wichtigsten Dinge gibt es eh immer noch am Kiosk. Ich mach mir da keine Sorgen.“ „Der Mensch lebt aber nicht nur von Bier allein“, gibt Mittelschmidt zu bedenken. „Meinst du wirklich?“, runzelt Stroganow die Stirn. Vielleicht war ihm das tatsächlich neu. „Sicher“, sagt Mittelschmidt, „auch du wirst dich über kurz oder lang den modischen Gepflogenheiten des Marktes anpassen müssen.“ „Mach ich doch schon“, sagt Stroganow, „ich hab jetzt auch Bio-Bier im Angebot.“ Ich seufze und beschließe, die beiden allein zu lassen, gehe stattdessen in den HUMUS. Erinnere mich, dass ich da schon oft und gern eingekauft habe, aber diesmal stehe ich blöd vor den Regalen rum und denke: Kann doch nicht sein, dass ich hier nur aus Protest reingehe, oder? Nee, kann nicht sein.

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