Lindemann & Stroganow

Hans-Jörg Hennecke und Kersten Flenter

Video: Christine Kraatz-Risch - Musik: Wohnraumhelden

Was ist ein Wort wert?

Von Hans-Jörg Hennecke

Lindemann weiß, dass ganze Berufsgruppen nach Worten bezahlt werden. Je mehr Text sie produzieren, desto höher die Entlohnung. Politiker, Journalisten, Show-Master, Vertreter und Zeitschriften-Werber. Auch manche Literaten. Aber was ist ein Wort wert? Das würde ihn schon brennend interessieren, weil Lindemann genau weiß: für nichts redet keiner nichts. Oder doch?
In Lindemanns Treppenhaus gibt es zwei Extreme. Das eine ist Oma Kasten aus dem ersten Stock. „Ach, mein lieber Herr Lindemann, bei diesem Wetter schon wieder so früh auf den Beinen? Wo soll es denn hingehen? Ob das Wetter wohl noch umschlägt? Vielleicht sollten Sie einen Regenschirm...“ Den Rest umgeht Lindemann mit freundlichen Verbeugungen vor dem Alter.
Das andere Extrem ist Nachbar Stokelfranz. Der sagt „Tach“ und verschwindet hinter seiner Wohnungstür. Lindemann vermutet Wahrheit und Höflichkeit irgendwo in der Mitte und ist beeindruckt von der Sprachdisziplin der Jungen. So kürzlich im Klamottenladen. Lindemanns Freundin Monika probierte ein Kleid an, ein junges Mädchen mit jungem Begleiter nebenan ebenfalls. Lindemann flötete: „Meine liebe Monika, das ist modern und passt äußerst einfühlsam zu deiner Figur, ohne jede Aufdringlichkeit. Es gefällt mir ganz besonders.“ Der Junge beriet seine Freundin knapper: „Äyh, Alte. Cool.“
Lindemann hat festgestellt, dass in der Historie das Verhältnis eher umgekehrt war. Ältere Texte sind oft kürzer und dennoch bedeutsamer, hat er ausgezählt. So brauchen die Zehn Gebote 279 Worte, die amerikanische Unabhängigkeitserklärung 300 – aber die Verordnung der Europäischen Union (EU) über die Einfuhr von Karamellbonbons zählt 25.911 Worte. Hier erkannte Lindemann, dass Worte doch bezahlt sein wollen. Die Zahl der beamteten Autoren bei der EU ist Legende.
Den Glauben an ein verlässliches Bewertungssystem von Wortproduktionen verlor Lindemann dann aber doch, als er seinen alten Lehrer zum 90. Geburtstag im Seniorenzentrum Ihmeufer besuchte. Um überhaupt etwas zu sagen, stellte Lindemann leichtsinnig die schwergewichtige Frage, wie der Schulmeister die 90 geschafft habe. Der hatte schon zwei Schnäpse getrunken und begann, die Geschichte des kompletten 20. Jahrhunderts für sein biblisches Alter haftbar zu machen. Das Auftauchen des Oberbürgermeisters erlöste Lindemann aus dem Geschichtsseminar, beendete aber nicht den Redefluss des Jubilars. Der Stadtchef schaute nach einigen Minuten hilflos auf Lindemann und wedelte mit seinem Blumenstrauß. Lindemann versuchte hilfreich zu sein und hob verschämt einen Zeigefinger in den Blickwinkel des Alten. Der reagierte ungehalten. „Nehmen Sie Ihrem Nachbarn die Pflanzen ab. Biologie haben wir in der nächsten Stunde.“

Bück dich, arme Sprache, und heb die Seife auf

von Kersten Flenter

Ich treffe Stroganow beim Orthopäden. Als langjähriger Beobachter von Sprachverhohnepiepelung im privaten und öffentlichen Gebrauch, sagt er, sei er mindestens einmal pro Quartal gezwungen, sich den Nacken einrenken zu lassen, weil der vom vielen Schulterzucken manchmal ganz schön schmerzt. Da muss ich ihm beipflichten. Ich selbst litt gerade unter einer Maulsperre, die ich mir vor Lachen im Kino zugezogen hatte. Zwei Jugendliche hatten Brad Pitts Rolle als Achilles mit den Worten kommentiert: „Ey, warum heißt der Typ nach so nem scheiße Teil vom Knie?“
Nun, Wort- und Sprachgebrauch haben nichts mit Bildung zu tun, auch nicht umgekehrt. Wahrscheinlich ist, das würde wohl Stroganow so sehen, der Wert eines Wortes ebenfalls eine Sache von Angebot und Nachfrage. Wenn unsere Politiker zu Missständen beharrlich schweigen, also wenig anbieten, steigt die Nachfrage. Wenn sie dagegen den Mund aufmachen, sinkt die Nachfrage ad hoc. Irgendwie können sie es uns nie recht machen.
Wahrscheinlich wird aber um den Missbrauch von Worten und Wörtern zu viel Aufhebens gemacht. Bastian Sick ist auch nur eine petzende, besser wissende Nervensäge. Wie schön, dass das Land noch über wackere Burschen verfügt, die eher Männer der Taten sind. Fuxtest, Rotarsch-Ritual, Anpimmeln, Spindsaufen, Kielholen – das sind nicht nur schöne Wörter, sondern seit Jahrzehnten gängige Praxen bei der Bundeswehr, diesem Auffangbecken für Schul- und Sozialversager, die keine Freunde haben, sondern Kameraden. Menschen, die geil auf Krieg spielen und bereit sind, andere Menschen zu töten, aber ins Heulen kommen, wenn sie ganz erstaunt feststellen, dass Krieg nun mal kein Spiel ist. Dann heißt es, wie bei Klein-Gibus im Krieg der Knöpfe immer „Wenn ich das gewusst hätte, wär ich nicht mitgekommen!“, und die Psychiatrie bekommt wieder was zu tun. Mitleid ist hier völlig fehl am Platz, denn wenn sie im Politk und Gesellschaft-Unterricht in der Schule aufgepasst hätten, wüssten unsere uniformierten Weicheier sehr wohl, was die Bestimmung eines Soldaten ist. Es ist unerträglich, genau wie das Gejammer des kleinen Mannes, der sein mühselig Erspartes den Finanzjongleuren der Banken zum Zocken gibt und dann stöhnt, wenn das Spiel verloren geht. Als hätte sie jemand gezwungen, ihr Geld besinnungslos in Fonds anzulegen, die mit Ernte- und Devisen- Spekulationen ganze Volkswirtschaften zu Grunde richten. Ich sage nur: Ätsch, das ist die Strafe. Für Soldaten und Aktienbesitzer.
Noch armseliger ist aber das verlogene Gefasel des „Mein Leben ist eine Trotzphase“-Sigmar Gabriel, der dem armen Erklärungsnöter zu Guttenberg vorwirft, er hätte die Truppe nicht im Griff, als hätten all diese Widerwärtigkeiten unter SPD-Regierungen nie stattgefunden. Worte … Ja, da fragt man sich tatsächlich dann und wann, was ein Wort wert ist. Ich als Lohnschreiber habe da natürlich eine klare Vorstellung, deshalb haben meine Frau und ich für private Gespräche eine schöne Vereinbarung getroffen: Ina zahlt mir einen Kaffee für einen schönen Satz und fünf Euro für ein niveauvolles Gespräch. Komisch, dass ich immer noch nicht reich geworden bin.

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