Lindemann & Stroganow

Hans-Jörg Hennecke und Kersten Flenter

Video: Christine Kraatz-Risch - Musik: Wohnraumhelden

Auf, ins neue Jahr, Menschlein, Du Kanaille, Du …

von Kersten Flenter

Es ist gut, dass Stroganow auch bei Minusgraden und am Silvesterabend seinen Kiosk geöffnet hat. Während ganz Linden das tut, was es tun muss, nämlich das gesamte Taschengeld des Januars für den 30-minütigen Straßenkrieg um Mitternacht des Jahreswechsels in die Luft zu ballern, stehen wir wie immer (das heißt wie jeden Tag, jede Woche, jeden Monat, jedes Jahr) an der Luke und faszinieren uns an der Jämmerlichkeit irdischen Daseins. „Nicht knallen ist auch keine Haltung“, schlägt Mittelschmidt vor, und ich halte das für eine blöde Ausrede, um seinen seit einer Stunde fehlenden Mittelfinger zu entschuldigen. „Es geht nicht um das Böllern, sondern um das Böllern mit Dingen, die China im Namen tragen“, sagt Stroganow, und ich würde gerne ergänzen „Wir unterstützen keine Schurkenstaaten“, wenn ich es mir damit nicht mit dem Gros meiner LeserInnen verscherzen würde und mich dem Vorwurf aussetzte, umsatz- und wirtschaftsfeindlich zu sein, und zudem, sagt Stroganow, „stammt der Begriff Schurkenstaat von jemandem, den du nicht magst.“ Ja, ich lasse mich auch gern überzeugen. Natürlich brauchen wir China. Wie sonst kämen wir an all das Plastikzeug für 1 Euro, das unsere Kinder verblödet und unsere Haushalte vergiftet? Im Gegenzug kaufen sie schließlich unsere Autos! Was kümmern uns da Markenpiraterie, Wirtschaftsspionage oder gar Menschenrechte?
„Sag jetzt auch noch: Russland!“, grinst Stroganow. „Woll“, sage ich. „Russland gibt uns unser Gas. Da kann man denen nicht sagen, dass sie bitte so etwas wie Rechtsstaatlichkeit beachten sollen.“ „Politik“, weiß auch ein doofer Praktikant wie Mittelschmidt plötzlich, „sollte doch im Sinne des Gemeinwesens private und wirtschaftliche Willkür eindämmen und Regeln des Zusammenlebens kontrollieren.“ Mittelschmidt ist süß. Schon die alten Griechen wussten, dass Politik eine Frage von Interessensvertretungen ist. Was sie aber nicht wussten, weil sie ja ständig dekadent und päderastig sein mussten, war, dass Macht eine Droge ist, für Makler, Manager und andere Politiker ohne Eier. „Preisfrage zum neuen Jahr“, sage ich, „welcher deutsche Politiker hat Putin zum privaten Freund?“ „Was hat’n das mit Lin’n zu tun?“, lallt Stroganow kurz vor zwölf. „Seine Stieftochter war hier auffer Schule!“, schreit Mittelschmidt, nicht weniger derangiert. „Sag’s nicht“, mahnt Stroganow, „erwähne nicht ihn, dessen Name nicht genannt werden darf, der sich die Haare nicht färbt, der nicht im Wagen von Margot Käßmann saß, der keine Frauen schlägt, der im Aufsichtsrat eines russischen Gasunternehmens sitzt, dessen ehemaliger Anwaltskanzleikompagnon mit dem organisierten Verbrechen paktiert und der den Handel mit China forciert hat. Nenn ihn nicht!“ „Hab’n se nicht neulich fast dem sein Auto geklaut?“, lacht Mittelschmidt, ganz unakademisch. „Jau, aber dann haben sie schnell gemerkt, dass sie einen der ihren beklaut haben und haben den T5 stehen lassen“, sagt irgendwer von uns, dessen Name nicht genannt werden will. „Wollen wir an so was zum Beginn des neuen Jahres denken?“, wundert sich Mittelschmidt. „Die Gedanken sind frei“, sagt Stroganow. „Und legen ein Ei!“, ergänze ich. Mittelschmidt zündet eine Lunte an.

Räumungsklage

Von Hans-Jörg Hennecke

Nachbar Stokelfranz schlug seine zusammengerollte Zeitung auf die Schenkel und die Riesenbuchstaben ihrer Schlagzeile addierten sich sichtbar zu einem DFB – für Deutscher Fußball-Bund. „Schon gehört, Lindemann“, tönte er durch den Hausflur, „Bayern München verklagt Borussia Dortmund vor dem Sportgericht.“ Lindemann hatte nicht gehört. „Und warum?“ „Amtsanmaßung. Platz 1 der Liga gehört den Bayern und die Meisterschale schon gar. Also Räumungsklage.“ Lindemann schaute verdutzt. „Wie soll das funktionieren?“ „Da gibt es viele Möglichkeiten. Schadenersatz oder Lastenausgleich. Es könnten bei jedem Spiel zwei BVB-Tore den Bayern gutgeschrieben werden, dann sähe die Tabelle schon anders aus.“ Lindemann schüttelte voller Überzeugung den Kopf. „Damit kommen die doch nie durch.“ Stokelfranz blieb beharrlich. „Da kennen Sie Hoeneß aber schlecht. Der geht bis zum Weltverband FIFA. Dort wird man mit dem kleinen Problem schon fertig. Die FIFA hat immerhin Katar die Weltmeisterschaft zugeschanzt und in dreißig Jahren soll gar auf Alfa Centauri gespielt werden, wenn die einen solventen Sponsor für die Wunschzettel der FIFA-Bosse aufbieten können.“
„Das geht nicht“, stöhnte Lindemann verzweifelt. „In Katar gibt es kein Bier und auf Alfa Centauri nicht mal Wasser. Dafür steht das Wasser unseren Brauern bis zum Hals, die Deutschen trinken immer weniger Bier. Nur super-heiße Sommer und Fußball können das ändern.“
Stokelfranz dachte angestrengt nach. „Immerhin trinken die Bayern die größten Biere. So eine Maß hat manchmal annähernd einen Liter, auf dem Oktoberfest immerhin einen halben.“ Lindemann war nicht zufrieden. „Dortmund ist Bierstadt Nr. 1 und hat die meisten Brauereien.“ Stokelfranz schlug mit der Zeitung aufs Treppengeländer. „Linden hat überhaupt keine Brauerei, aber die meisten Biertrinker und in einem 0,4 ist auch 0,4 drin.“ „Linden spielt nicht in der Bundesliga.“ „Wir Lindener stehen eisern zu den Roten“, bekannte Stokelfranz.
Der mäßige Streit hatte Oma Kasten aus dem ersten Stock aufgeschreckt. Sie erschien in ihrer Wohnungstür und schaute missbilligend auf die Männer. „Manche stehen auch zu den Schwarzen, Grünen und Gelben. Ist denn schon wieder Wahl?“ Lindemann vermittelte freundlichst: „Es geht um 96, nicht um Parteien.“ Oma Kasten war nicht überzeugt. „96 ist doch lange her. Wir schreiben 2011, Herr Lindemann.“ Stokelfranz schaltete sich erläuternd ein. „Es geht darum, dass die Deutschen immer weniger Bier trinken. Nur der Fußball kann das bessern.“ Kopfschüttelnd zog sich Oma Kasten in ihre Wohnung zurück. Früher, dachte sie, tranken die Männer ziemlich viel Bier. Aber so dummes Zeug hatten die nie geredet.

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