Lindemann & Stroganow

Leben in Futur zwei / Nun schlägt es 13!

Gelesen von Hans-Jörg Hennecke und Kersten Flenter

Video: Christine Kraatz-Risch - Musik: Wohnraumhelden

Nun schlägt es 13!

Von Hans-Jörg Hennecke

Die fette 13 auf dem neuen Wandkalender im Treppenhaus war für Lindemann unübersehbar. Hier wurde dokumentiert, welcher Mieter jeweils für die Treppe zuständig war. Von bedeutenderen Ereignissen stand da nichts.
„Probleme mit der 13?“, wollte Nachbar Stokelfranz wissen. „Da könnte der Staat eine Menge von den Hoteliers lernen. Bei denen gibt es keine 13.“ Richtig, dachte Lindemann, in renommierten Groß-Hotels folgte auf die 12. gleich die 14. Etage. „Und in Büros mit Publikumsverkehr gibt es auch keine 13. Es hätte dem Staat im Wahljahr gut zu Gesicht gestanden, auf 2013 zu verzichten. Außerdem: was man da sparen könnte.“ Lindemann war nicht überzeugt. Doch der Nachbar schwärmte: „Die Energieeinsparung für ein Jahr. Keine Staatsausgaben, keine neuen Schulden.“ „Einspruch“, protestierte Lindemann. „Das hieße auch, keine Hartz 4 Auszahlungen an Sie, keine Rente für Oma Kasten .“ „Falsch“, tadelte Stokelfranz, „ dann kämen doch sofort die Auszahlungen für 2014 zum Zuge.Also, die 13 bringt nur Unglück.“ Oma Kasten aus dem ersten Stock hatte das gehört und bestätigte: „Es ist der Fluch der 13. Fee, wir können ihm nicht entkommen.“ Lindemann stutzte. „Harry Potter?“ Stokelfranz versuchte es mit „Hobbit” und „Herr der Ringe“. Oma Kasten war empört. „Sie werden doch ,Dornröschen‘ kennen.“ Lindemann erinnerte sich schwach. „Der haben wir also die 13 zu verdanken …“ Stokelfranz blieb vorsichtig. „Das muss ich erst mal googlen. Wie heißt der Thriller? Dornröschen?“
Lindemann zog sich in seine Wohnung zurück.Nur gut, dass ich nicht abergläubisch bin, dachte er. Er besaß nicht einmal eine Hasenpfote und den vierblättrigen Klee im Garten hatte Freundin Monika ausgesät. Sie wollte dem Glück ein wenig auf die Sprünge helfen. Jedenfalls: Mehr Schaden als 12 wird die folgende 13 auch dadurch nicht anrichten.
Die Steigerung von 13 ist Freitag der 13., fiel ihm ein. Er blätterte den neuen Kalender durch und wurde im September und Dezember fündig. Beide Daten kreiste er mit Rotstift ein. Man muss nicht dran glauben, aber etwas Vorsicht kann auch nicht schaden, bestätigte ihm eine innere Stimme. Wie leicht gebärt eine Ziffer Katastrophen in Serie: Landtagswahl – die Nichtwähler erringen die absolute Mehrheit. Bayern München wird deutscher Fußballmeister. Berlusconi setzt den Euro schachmatt. Kates neugeborener Briten-Prinz ist schwarz wie die Nacht und eine Prinzessin. Die Limmerstrasse wird Fußgängerzone! Wohnungen im Ihme-Zentrum werden zwangsverlost.
Und am 21. Dezember der Höhepunkt. Die Erde platzt auseinander – Weltuntergang. Sollte der nicht voriges Jahr stattfinden, laut Kalender der Maya? Lindemann erahnt dengrauenhaften Grund der Verzögerung: Auch die Mayas haben irgendwann mal ein Jahr gestrichen …

Leben in Futur zwei

von Kersten Flenter

Ach, wir leben ja doch noch! Als hätte ich es geahnt, habe ich diesen Text bereits am Tag vor dem Ende der Welt getippt, weil ich an eben diesem Tag nämlich mit Mittelschmidt und Stroganow das letzte Bier trinken gehen wollte. Ich stelle mir folgendes vor: Da werden wir dann am Tresen gestanden und uns die schöne Frage gestellt haben, welche schönen Dinge mit den hässlichen Menschen gemeinsam untergehen würden. Oder wir werden uns die Frage gestellt haben, was wir so als allerletzte Handlungen noch vollziehen könnten, bevor das Licht ausginge. Und natürlich würde gar nichts passiert sein. Nichts. Wie immer. Nie geschieht etwas. Gucken wir also weiter Fernsehen oder vergnügen wir uns mit der HAZ: „Ökostrom macht Arme ärmer“ oder so stand da neulich im Wirtschaftsteil, und du denkst: Besser hätte die Merkel das auch nicht lügen können. Als ob es keine politische Entscheidung ist, dass die Kosten für die Energiewende auf die kleinen Verbraucher umgelegt werden, während die Netzbetreiber und großen Konzerne weiter ihre Milliarden scheffeln. Sorry, zum Jahreswechsel hin wird man sich ja mal ausmären dürfen. Und wo wir schon dabei sind: Im letzten Hannover-Tatort war von „Maschsee-Connection“ die Rede, und nach Ausstrahlung dieses Zweiteilers fragte sich die Nation, angeführt von BILD und Günther Jauch, ob es denn tatsächlich so zugehe, mit Korruption und Menschenhandel und so, dort drüben, auf der falschen Seite der Ihme. Seien wir ehrlich: Das wollen wir nicht wirklich wissen. Aber wir können ja, nur so aus Jux und Dollerei, wie Stroganow es mag, mal überlegen, was aus den Protagonisten der Umverteilung so geworden ist: Die Firma, die im Tatort „Hunnen“ genannt wurde, hat ihr Clubheim in Linden aufgelöst. Ihr Anwalt, persönlicher Freund des Firmenchefs, praktiziert weiter. Dessen Freund und ehemaliger Kanzleikollege wiederum hat sich ganz dem organisierten Verbrechen verschrieben, nachdem er ein paar Jahre lang als Kanzler den Weg zur Spaltung der Republik frei gemacht hat. Dessen Kumpel Peter Hartz, auch ein Krimineller, steht mit seinem schmutzigen Namen für den Niedergang unseres Sozialsystems, und Maschmeyer, Rürup und Riester, die Kannibalen der Nulljahre, preisen jetzt in ihrer gemeinsamen Firma international das deutsche Rentenmodell. Als reichte es nicht aus, dass alle vierzehn Minuten irgendwo auf der Welt ein Mensch durch eine Waffe von Heckler & Koch stirbt, soll jetzt die Menschheit noch kollektiv auf dem Finanzmarkt versklavt werden. Bei über sieben Milliarden Stück Menschen ist da noch riesiges Potential. Das Netzwerk der Arschlöcher wächst weiter, und für die Laufarbeit wechseln alle paar Jahre die Handpuppen der Politik, wie auch hierzulande, es ist 2013, Januar, und niedersachsenweit treten die Scheinpolitiker Weil und McAllister zum großen Wettgrinsen an. Das Spiel läuft weiter, alles wie gehabt. Wir brauchen ja keine Apokalypse, in ein paar Jahrzehnten werden wir zu Ende ausgesessen haben, aber das interessiert ja bekanntermaßen niemanden, erst recht nicht die Eltern der Generation Wickeltasche, die ihre Sprösslinge noch schnell chinesisch lernen lassen. Denn am Ende, das wissen wir, wird nichts übrig sein als Plastikmüll aus China und Geröll.
Apropos Spiel: Ich nahm jüngst an einem Table Quiz teil. Auf die Frage, was die „Gruppe 47“ gewesen sei, vermuteten gleich mehrere Teams „Verschwörung zum Attentat auf Hitler“ als Antwort. Und da wurde mir plötzlich klar, warum unser Land in diesem Zustand ist. Es wird noch viel zu lachen geben, in 2013 und anderswo. Was werden wir gelacht haben!

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