Lindemann & Stroganow

Lindemanns Gegendarstellung / Wir haben es wirklich nicht leicht

Gelesen von Hans-Jörg Hennecke und Kersten Flenter

Video: Christine Kraatz-Risch - Musik: Wohnraumhelden

Lindemanns Gegendarstellung

Von Hans-Jörg Hennecke

Sehr geehrter Herr Daniel Kehlmann,
ich habe ihren neuen Roman „F“ gelesen, weil meine Freundin meinte, das werde ein Bestseller, wie alles, was Sie produzieren. „Lindemann, das musst du lesen, um auch mal mitreden zu können.“ Sie schenkte mir den Band also zu Weihnachten und ich habe erst nur gedacht: Nun ja, einem geschenkten Gaul tritt man nicht auf die Hufe. Trotzdem habe ich ihn genau gelesen, alles über eine verkommene Familie, wie es so eine bei uns weit und breit nicht gibt: ein Priester, der nicht glaubt, ein Kunsthändler, der Bilder fälscht, ein Anlageexperte, der das Geld seiner Kunden verzockt. Gezeugt von einem Vater, der seine Familie verlässt und zweitklassige Bücher schreibt. Und als Grund für die Misere haben Sie ausgerechnet mich ins Feld geführt, was mich zu dieser Gegendarstellung veranlasst. „Lindemann lehrt Sie, Ihre Träume zu fürchten“ behaupten sie zweimal, nämlich auf den Seiten 20 und 260. Davon ist selbstredend kein Wort wahr, sie beanspruchen vermutlich dichterische Freiheit – ich aber sage Ihnen: Sie hätten mich vorher fragen müssen oder wenigstens warnen, denn hier in Linden gibt es natürlich mißgünstige Leute, die das für bare Münze nehmen, nur um mir eins auszuwischen.
Wie sind Sie gerade auf mich gekommen, Sie Daniel, Sie? Waren Sie bei einer meiner Lindemann-Lesungen, möglicherweise volltrunken, alles missverstehend, was ich als Freudenspender für meine Nachbarn absondere? Die nehmen die Geschichten als Betthupferl und sind nun zutiefst verunsichert.
Oder hat Ihnen Freddy Krueger aus der Elmstreet ins Hirn geschissen? Wollen Sie mich zum Vollfreddy machen, Sie Daniel in der Löwengrube? Zum Daniel Düsentrieb einer traumatisierten Menschheit? Ist Ihnen der Jack Daniels zu Kopf gestiegen? Schreiben Sie sich auf meine Kosten dem Literatur-Nobelpreis entgegen?
Jeder weiß: Freddy Krueger lebt tatsächlich in den Träumen der Menschen und kann nur durch einen besonderen Trick zum Aufwachen gebracht werden. In seiner Albtraumwelt ist er allmächtig. In Freddys Welt sind die Naturgesetze aufgehoben, und so kommt es oft zu absurden Ereignissen. Das, Herr Daniel Kehlmann, ist in meiner Welt nicht der Fall. Mein Kiez ist real, verfügt sogar über zwei eigene Postleitzahlen. Das einzige absurde Ereignis hier sind Sie. Natürlich hätte das meine Freundin berücksichtigen müssen, als sie Ihr Buch erwarb. Wenn Sie Ihre Träume fürchten wollen und Freddy Krueger zu derb ist, greifen Sie auf bewährte Hausmannskost zurück. Alice im Wunderland gefällig? Träumen Sie mit allen Kindern dieser Welt. Klicken Sie sich bei „Teeparty“ ein. Dort treffen Sie auf den verrückten Hutmacher und den Märzhasen. Ganz sicher werden die Ihnen zum Nicht-Nobelpreis gratulieren. Dem schließe ich mich freudig an!

Wir haben es wirklich nicht leicht

von Kersten Flenter

Man muss ja sehen, wo man bleibt, denkt sich Bülent Mittelschmidt und tritt ein Praktikum als mobiler Krankenpfleger an.
Misst Krankenpfleger Mittelschmidt bei Rentner Meierschulz in der Jacobsstraße den Blutdruck. Sagt Meierschulz, ich bin jetzt 68 und habe eine Rente von 750 Euro, damit zähle ich zu den Armen im Lande. Über mir wohnt Dr. Überdruck, der hat die Wohnung gekauft von dem Mann mit dem russisch klingenden Namen, der das Haus gekauft hat, und ist jetzt 80, also der Dr. Überdruck, nicht der Mann mit dem russisch klingenden Namen. Da er mit 80,9 Jahren stirbt, also der Dr. Überdruck, und meine Lebenserwartung um elf Jahre geringer ist als seine, bin ich bald dran.
Sagt Mittelschmidt zu Meierschulz, Armut ist relativ, denn es könnte schlimmer kommen, Sie haben immerhin noch eine Wohnung. Sagt Meierschulz, Na klar, und auch als Obdachloser hätte ich noch Glück, denn ich könnte ja auch ein Obdachloser in Indonesien sein. Sagt Mittelschmidt, Und auch dann hätten sie noch Glück, denn sie könnten ja auch ein obdachloses Kind in Indonesien sein. Sagt Meierschulz, Und auch dann hätte ich noch Glück, denn ich könnte ja auch ein obdachloses Kind ohne Vater und Mutter in Indonesien nach dem Taifun sein.
Misst Krankenpfleger-im-Praktikum Mittelschmidt bei Arzt-im-Ruhestand Dr. Überdruck den Blutdruck. Sagt Dr. Überdruck, ich habe es auch nicht leicht, liegt mein Geld in der Schweiz, werde ich verpetzt, liegt mein Geld auf der Bank, ist es nix mehr wert, liegt mein Geld im Schrank, kommen die Betrüger mit dem Enkeltrick, zahle ich Steuern, kriegen die Armen Geld und strengen sich nicht mehr an, dass es ihnen besser geht, die soziale Hängematte, sie verstehen, das kann ich doch nicht unterstützen; park ich meinen Q7 vor dem Haus, zünden sie ihn an, stell ich ihn in die Garage, sieht ihn keiner, und außerdem passt er in keine Lindener Garage, ich hab es wirklich nicht leicht, sagt Dr. Überdruck. Sagt Mittelschmidt, Demenz mal, Dr. Überdruck, Ihr Blutdruck ist bei 360 zu 240, kann es sein, dass sie sich aufregen? Sagt Dr. Überdruck, Wer sind Sie überhaupt? Sagt Mittelschmidt, Ich bin dein Enkel, erkennst du mich nicht mehr?

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