Lindemann & Stroganow: Gretchen will es wissen

Hans-Jörg Hennecke und Kersten Flenter

Video: Christine Kraatz-Risch - Musik: Wohnraumhelden

Bergfriedhof: Gretchen will es wissen

Von Hans-Jörg Hennecke

„Wohin des Wegs, liebe Oma Kasten?“ „Zum Ricklinger Friedhof, mein Mann erwartet mich.“ Lindemann ahnte ein Problem, doch Nachbar Stokelfranz sprach einfach das Naheliegende aus. „Gehen Sie doch auf den Lindener Bergfriedhof, der ist viel schöner.“ Oma Kasten aus dem ersten Stock schaute mißbilligend auf den Nachbarn. „Aber wenn mein Mann doch in Ricklingen...Der durfte doch nicht mehr in Linden... Die haben den Friedhof einfach dichtgemacht.“ Lindemann seufzte wissend. „Ja, ja, die Politiker und ihre Friedhofs-Verwaltung.“ Stokelfranz brummte Zustimmung: „Die spinnen, die Politiker. Aber am 11. September wollen sie wiedergewählt werden.“ Oma Kasten erhob partiellen Einspruch. „Unseren Bezirksrat nehmen wir da aber raus. Der will auch auf den Lindener Friedhof. Doch auf den hört keiner.“
„Das muss mal zuerst geändert werden“, postulierte Lindemann. „Alle Macht dem Bezirksrat“, skandierte Stokelfranz. „Vorher sollte man als Lindener das Sterben verweigern.“
Oma Kasten wurde nachdenklich: „Auf dem Bergfriedhof liegen doch Generationen von Toten, wo sind die denn geblieben?“ „Im Himmel“, vermutete Lindemann. Stokelfranz schränkte ein: „Ausgenommen Schulzki, der ist in der Hölle. Der Sauhund hat beim Skat immer geschummelt.“ Oma Kasten winkte ab. „Die alten Knochen nehmen die Leute doch nicht mit in den Himmel. In die Hölle, das mag noch gehen, aber nicht in den Himmel.“
Lindemann zeigte sich einsichtig. „Die Toten werden verbrannt.“
„Ja, in der Hölle“, warf Oma Kasten verstockt ein.
„Nein, im Krematorium“, korrigierte Lindemann mit deutlich gesteigerter Phon-Stärke. „Gibt es denn neuerdings auf dem Bergfriedhof ein Krematorium“, wollte die betagte Nachbarin wissen. „Gibt es nicht, brauchen wir auch nicht“, belehrte Lindemann. „Aber sterben darf man noch in Linden“, trotzte die Nachbarin. „Im übrigen“, so fuhr sie nachdenklich fort, „ist es nicht schön, dass alles verbrannt wird. Ich habe gehört, die gelben Säcke sind auch kein Wertstoff, die werden einfach verbrannt. Mein seliger Mann hätte überhaupt nicht verstanden, wenn ich ihn seinerzeit einfach verbrannt hätte. Der sah so gut aus in seinem Sarg, den konnte ich gar nicht verbrennen. Es wäre eine Schande gewesen.“ Damit war die Diskussion in der Hausgemeinschaft zum Thema Bergfriedhof vorerst beendet. Doch Lindemann war wild entschlossen, sie zum günstigeren Zeitpunkt der Kommunalwahl erneut auf die Tagesordnung zu bringen. „Hallo Politiker. Die Gretchenfrage 2011: Wie hältst du es mit dem Bergfriedhof? Zum Mitschreiben: B-e-r-gf-r-i-e-d-h-o-f. Hört mich jemand

Komm zurück, Testbild

von Kersten Flenter

Kollege Lindemann tut gut daran, sich einmal mehr mit Tod und Vergänglichkeit zu beschäftigen, und auch Stroganow begegnet den Ereignissen der letzten Tage mit zunehmender Besorgnis. Nun, da sich langsam und zart die Knospen des historischen Leinegesträuchs öffnen, wird auch dem sonnenbebrilltesten Spaziergänger auffallen, dass dieser Tage in Linden ganze Legionen von Bäumen einem radikalen Scharmützel anheim fielen. „Mein Hund weint bei unseren Ausläufen fast auf jedem Meter“, gebe ich bei einer Runde Merkel-Bräu zu bedenken. Warum fühle ich mich mal wieder so allein mit meiner Verwunderung über solcherlei Maßnahmen, während meine Mitflaneure in den städtischen Grünflächen dies gänzlich kalt zu lassen scheint. Mittelschmidt, Spezialist für Ausuferungen prekärer Arbeitsverhältnisse, hat so seine Theorien. „Zwei Varianten“, erklärt Mittelschmidt: „Es könnte einerseits so sein, dass das Grünflächenamt mit dem Abholzen sämtlicher Bäume vom protestgebeutelten Kahlschlag des Calenberger Lochs ablenken möchte – wer denkt schon noch an die Lügen des städtischen Flutszenarios wenn auch alle anderen Bäume in der Stadt abgesäbelt werden?“ Stroganow legt Stirn und Kinn in Falten. „Zweite Theorie: Solidarität mit Richard Sarrazin! Der Sohn des Bundesislamophoben lebt bekanntermaßen von Hartz IV und hat einen Ein-Euro-Job als Landschaftsgärtner. Je mehr wir diese Tätigkeit ausbauen und schätzen lernen, desto mehr …“ Stroganow unterbricht Mittelschmidt harsch: „Abholzen gegen Sarrazin? Du spinnst, Mittelschmidt!“ Da gebe ich Stroganow Recht und wünsche mir für Lindemann, dass wenigstens sein geliebter Berg von den Motorsägen der Moderne verschont bleibt. Wissen wir doch um das klassische Schicksal gefällter Bäume: vielerorts wird Papier daraus hergestellt, und darauf entstehen in zumeist schwarz gedruckten Lettern die wirrsten Sätze, entstanden aus noch weitaus irrwitzigeren Gedanken. „Ach“, sagt Stroganow, „ich weiß gar nicht mehr, wer es schwerer hat – die Zeitungsschreiber oder die Zeitungsleser. Alles was erscheint, ist sofort wieder überholt. Ob Guttenbergs Zugeständnisse, die Zahl der Toten in Libyen … man kommt doch gar nicht mehr mit. Wenn ich dazu noch ins Internet oder Fernsehen schaue, krieg ich gar nichts mehr gefiltert.“ „Ein wenig mehr Ruhe auf den Bildschirmen täte gut. Da lob ich mir den kanadischen Rotisserie Channel – der zeigt 24 Stunden am Tag Broiler im Steinofen“, weiß Mittelschmidt. „Ich weiß da noch was besseres zum Entschleunigen“, sage ich und wünsche mir: Komm zurück, Testbild!

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