Lindemann & Stroganow

Die Amtssprache ist Deutsch
Sinnvoller Zeitvertreib unter staatlicher Aufsicht

Gelesen von Hans-Jörg Hennecke und Kersten Flenter vor der Traditionsgaststätte Zum Stern in der Weberstraße

Video: Christine Kraatz-Risch - Musik: Wohnraumhelden

Inkompetenz in der Champions League

Von Hans-Jörg Hennecke

„Die Amtssprache ist deutsch.“ So steht es im Sozialgesetzbuch und Gesetze sind für alle Normal-Verdiener verbindlich. Ausländische Zuwanderer bekommen somit die Pflicht aufgedonnert, Deutsch zu lernen. Richtig, sagt Lindemann, doch wenn sie es dann können, verstehen sie uns trotzdem nicht. Weil wir nur noch von Facebook, Update und Home entertainment schwafeln. Warum flüchten wir Deutschen sprachlich ständig ins Ausländische? Zumal sich das leicht als Minenfeld erweisen kann. Kürzlich klagte ein entfernter Verwandter, er müsse nun peinlicherweise Senioren-Pampers tragen, wegen seiner Inkompetenz. Lindemanns spontanes Auflachen beleidigte den Anverwandten zutiefst. Wenn man erst im Minenfeld steht, sind Steigerungen eingeschlossen. Hannover 96 spielt in der 1. Liga. Liga? Nun, spätestens in der nächsten Saison möchten die Roten einen Schritt weiter sein und Champions League spielen. Alles klar? Aber Vorsicht bei radikaler Rückübersetzung. Am Kitchengarden, nee Moment, dieses Jahr heißt der noch Küchengarten, gibt es das wunderbare Theater gleichen Namens. Überwiegend wird dort Kabarett geboten. Die Kunstform stammt aus Paris, man schreibt sie dort Cabaret, was einfach nur Kneipe heißt. Da steht der Mensch sprachlich „on the woodway“ (zu deutsch: Holzweg), denn ein deutsches Wort gibt es für die Kunstgattung nicht. Oder? Politisch-literarische Bühnendarbietung in witziger Form, könnte man sagen. Oder einfach Kabarett. Aber die Amtssprache ist deutsch. Darf ein deutschlernpflichtiger Ausländer im hiesigen Inland Kabarett sagen? Lindemann ist Beamter und hätte da schon mal gern eine wasserdichte Durchführungsverordnung. Doch die gibt es nicht. Vielleicht sollte die komplette Menschheit auf die Welthilfssprache Esperanto umsatteln. Aber die ist seit hundert Jahren Mauerblümchen, weil 80 Prozent schon Englisch als Sprachkrücke verwenden, wenn im Urlaub so gar kein Deutsch verstanden wird. Also dürfen wir doch unser facebook updaten? „Gemach“, empfiehlt Nachbar Stokelfranz, „manche deutschen Dialekte sind schlimm wie Kisuaheli. Sprechen Sie mal mit einem Ureinwohner im Bayrischen Wald oder in der Schwäbischen Alb. Da hilft kein Kursus 'Deutsch für Ausländer'“. Lindemann nickt. Er weiß, dass außerhalb des Hannöverschen kein exaktes Deutsch gesprochen wird, mit einer Ausnahme. In Dortmund beobachtete er einst im Streichelzoo einen Opa mit Enkel. Da wurde präzise mit unserer schönen deutschen Sprache umgegangen und sie wurde klar ausgesprochen. Der Kleine stand etwas ängstlich vor einem schmusigen Schaf. Er schien gern Kontakt aufnehmen zu wollen, allein es fehlte ein mutmachender Anstoß. Opa schuf ihn mit nur vier Worten: „Mach dat Mäh ei!“

Sinnvoller Zeitvertreib unter staatlicher Aufsicht

von Kersten Flenter

Ina und ich saßen auf einem Steinquader in der Nähe der Küchengartenampel, die nach dem Umbau so etwas wie der Checkpoint Charlie zwischen Nord und Mitte geworden war. Wer nach drüben wollte, brauchte Geduld. Wir sahen uns die Verzweiflung in den Gesichtern der Eltern an, die mit ihren Kindern auf Fahrrädern an der Ampel warteten. Jede menschliche Vernunft gebietet EIGENTLICH, nach zehnminütigem Warten in der Rotphase, in der kein einziges Auto vorbeifährt, das Hinübersetzen zumindest auf die Mittelinsel. Um dort dann noch weitere fünf Minuten bei Rot zu verharren. Hier allerdings wartete nun schon Stroganow mit einem Umhängekühlschrank voller Flaschenbier und Bionade. Er hatte gerade auf der Mittelinsel der Fußgängerampel am Küchengarten eine neue Filiale eröffnet. „1ALage“, hätte Stroganow erklärt, „viel Stehpublikum.“ Wer immer die Innereien von iPhones mal auswerten würde - Lindener Bewegungsprofile von iPhone-Besitzern würden unergiebig bleiben. Wollte man Stroganows geschäftstüchtigem Gefasel entkommen, musste man wohl oder übel bei Rot fahren, dort allerdings warteten schon die Staatsdiener, ein personell prallgefüllter VW Bulli. Wir fragten uns, wo all die Polizeipräsenz am Küchengarten blieb, wenn Jugendliche mit Männlichkeitshintergrund am Wochenende ihre feigen und ehrlosen Gewaltattacken gegen wehrlose alte Menschen und Frauen zelebrierten. Andere Geschichte.
„Setz dich mal neben mich“, befahl Ina. Bislang hatte ich ihr gegenüber gesessen und ich freute mich, dass sie mich näher bei sich haben wollte. „Dann hab ich eine bessere Aussicht“, fuhr sie fort. Bevor wir zu tief in die Diskussion um Erwachsene mit Fahrradhelmen einsteigen konnten, sahen wir Bülent Mittelschmidt auf seinem Mountainbike-Geschoss nahen und ohne „Sei Vorbild für Kinder - nur bei Grün“-Attitüde über beide roten Ampeln flitzen. Sogleich blinkte die Leuchtreklame auf dem Polizeibulli und eine Kelle flog aus dem Fenster. Mittelschmidt stoppte. „Wassn los?“ „Das war ne rote Ampel, Mittelschmidt“, sagte sein alter Studienkollege, der nun offensichtlich gerade ein Uniformpraktikum absolvierte. Bülent gab sich politisch und sprachlich korrekt: „Sie sind die Exekutive des Staates und damit ein Drittel eines Systems, das von Finanzwirtschaft, Energiekonzernen und Pharmaindustrie regiert wird. Ich akzeptiere Ihren Autoritätsanspruch nicht mehr länger.“ „Schon klar“, sagte der Polizist, „wollen Sie Ihr Vergehen a) zugeben, b) bestreiten oder c) eine schriftliche Stellungnahme dazu abgeben?“ „Ganz klar, schriftliche Stellungnahme“, sagte Mittelschmidt und freute sich schon insgeheim auf den Blick der Sachbearbeiterin, wenn die Firma UPS ihr Mittelschmidts tausendseitige „Analyse und Kritik der Ampelschaltung Küchengarten in 3 Bänden“ auf den Tisch hieven würde. Ina und ich sahen uns mit dem sanften Blick der Flaneure an, während ein Vater an der Ampel seiner Tochter zum dritten Mal die Windel wechselte.

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