Lindemann & Stroganow

Belimmert / Linden brennt, und ich lebe am Fluss

Gelesen von Hans-Jörg Hennecke und Kersten Flenter

Video: Christine Kraatz-Risch - Musik: Wohnraumhelden & Spvgg Linden-Nord

Linden brennt, und ich lebe am Fluss

von Kersten Flenter

Dass die meisten Menschen unter Party machen etwas gänzlich anderes verstehen als Stroganow und ich, scheint immer mal wieder durch. Die Popper der Zehnerjahre vergnügen sich also damit, Autos anzuzünden. Bülent Mittelschmidt ist wie immer etwas schlicht in seinen Statements. „Ganz klar“, sagt er, „das geht gegen den Trend zu dicken Autos im Stadtteil. Die neuen Reichen und so. Das waren die Autonomen.“ „Du Affenhirn“, murrt Stroganow, „erstens wurden die Autos nicht nur in Linden angezündet, und zweitens handelte es sich nicht nur um dicke Autos, und drittens ist so ein sinnloser, gegen Unbeteiligte gerichteter Terror immer ein Indiz für Verbrechen von rechts.“ „Ihr Spacken“, ergänze ich gelangweilt, „hier handelt es sich um einen klaren Fall von narzistischem Großstadtneid; die Kids wollen gern wie Hamburger oder Berliner sein.“ „Ich hab Hunger“, stellt Mittelschmidt fest. Stroganow gluckst. „Jedenfalls“, sage ich, „glaube ich nicht, dass die Motivation zum Autoverbrennen irgendeinem kruden Politikverständnis geschuldet ist. Das waren, wie immer, Jugendliche mit männlichem Geschlechtshintergrund oder Feuerwehrmänner.“ „Das ist unlogisch“, beschwert sich Mittelschmidt, „Jugendliche mit männlichem Geschlechtshintergrund fahren selber S-Klasse.“ „Mittelschmidt hat Recht“, überlegt Stroganow. Nun habe ich selbst bestimmt genug zweckfreien Unfug im Garten der Wirrnis verbreitet, aber wie gesagt, unter einem gelungenen Feuerwerk verstehe ich etwas anderes. Mir ist zum Beispiel ein Fest, wenn die Italiener ihren absurden Ex-Präsidenten in den Knast schicken – man stelle sich nur einmal vor, wenn wir hier in Deutschland so eine unabhängige Judikative hätten, die zum Beispiel Helmchen Köhl endlich wegen Aussageverweigerung in Beugehaft nähme.
„Gibst du eigentlich all deine Nebenverdienste an?“, fragt Stroganow Mittelschmidt, der gerade das Pulver mit den Urzeitkrebsen in ein Wasserglas schüttet. „Boh“, sage ich, „du hast noch ein YPSHeft abgesahnt?!“ Stroganow seufzt und erinnert uns an die Notwendigkeit regelmäßiger Trunkenheit, in dem er zwei Herri durch die Luke schiebt. Ich sehne mich nach einer Abwrackprämie für in die Jahre gekommene Menschenhirne. Mittelschmidt grinst, und wir wenden uns etwas Wichtigem zu.

Belimmert

Von Hans-Jörg Hennecke

Ich will nicht zu den Bersters.“ „Stell dich nicht an. Das tut dir gut, mal unter normale Menschen zu kommen.“ „Sie trägt grellbunt und er Anzug, was ist denn da normal?“ „Sie haben viele nette Gäste.“ „Wenn wir kommen, genau zwei.“ „Sei nicht so arrogant.“ „Ich will nicht.“ „Man kann nicht immer machen, was man will.“ „Warum eigentlich nicht ?“ „Zieh deinen dunklen Anzug an und nimm die weinrote Krawatte.“ „Ich trage lieber die Jeans und Krawatten sind übrigens mega-out.“ „Irrtum. Du wirst sehen, die Männer kommen alle mit Krawatte.“ „Glaube ich nicht. Es bleibt einem nichts erspart. Warum immer ich?“ „Bist du fertig?“ „Ja. Ich sehe aus wie ein Berater von der Bank.“ „Gut siehst du aus.“ „Wer fährt?“ „Ich. Aber trink nicht so viel.“ „Was sollich da denn sonst machen?“ „Small talk. Hör dich um. Sicher bekommst du Anregungen für deine Arbeit.“ „Von den Torfköpfen?“

„Hallo. Ja, wir sind gern gekommen. Natürlich finden wir allein zurecht. Wir machen mal die Runde.“ „Guten Abend, guten Abend, guten Abend.“ „Ich hole mir ein Bier.“ „Und ich begrüße erst mal Frau Berster.“

„Sie sind Herr…?“ „Ja, genau.“ „Mein Name ist Marfeld.“ „Hätte ich nicht vermutet.“ „Wir kennen uns nicht?“ „Das will ich hoffen.“ „Was machen Sie so?“ „Ich stehe hier und trinke Bier.“ „Ich bin Marktleiter bei Aldi.“ „Sie müssen sich nicht entschuldigen. Wir kaufen auch bei Aldi.“ „Darf ich Ihnen Herrn Windolf vorstellen?“ „Nein danke. ich kenne schon genug Leute.“ „Ich muss mit Windolf reden.“ „Herzlichen Dank und schönen Gruß.“ „Amüsierst du dich?“ „Wird hier ein Woody- Allan-Film gedreht?“ „Berster will mit dir reden.“ „Mir bleibt nichts erspart.“ „Ah, mein Lieber, da sind Sie ja.“ „Hallo.“ „Seien Sie ehrlich: Sie denken über Flucht nach.“ „Woher wissen Sie das?“ „Wir sind die beiden einzigen in Anzug und Krawatte.“ „Das heißt…?“ „Dass unsere Frauen uns die Party verordnet haben, dazu das Outfit.“ „Sie sind derVeranstalter.“ „Sagt meine Frau, ansonsten ist es ihre Party. Trinken wir einen Wodka?“ „Gern. Kann auch ein Doppelter sein.“ „Aber immer, dann mal Prost.“ „Prost.“ „Gleich noch einen?“ „Na klar.“ „Was machen wir mit der Party?“ „Wir trinken sie uns schön.“ „Apropos schön. Sehen Sie die Blondine da drüben? Das ist Ellen Karow, ein heißer Feger. Ich könnte Ihnen da Geschichten erzählen …“ „Erzählen Sie schon. Und Wodka könnte ich auch noch gebrauchen.“

„Oh, nein. Muss ich dich in den Wagen heben? Du bist wieder breit wie eine Natter.“ „Ich habe nur mit Berster geredet.“ „Wie geht es ihm?“ „ Der liegt unter einem Tisch und quasselt mit der Sekt-Pulle. Sein Schwager hat nur noch ein halbes Schnapsglas, aber er trinkt weiter.“ „Ihr benehmt euch unmöglich. Worüber habt ihr geredet?“ „Über das Limmern. Die haben hier das Problem gelöst.“ „Ach, nee.“ „Die machen hier nichts auf der Straße. Die limmern in der Wohnung.“

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