Lindemann & Stroganow

Lindemann und der Schweinebraten / Im Schweiße des Angesichts

Gelesen von Hans-Jörg Hennecke und Kersten Flenter

Video: Christine Kraatz-Risch - Musik: Wohnraumhelden

Lindemann und der Schweinebraten

Von Hans-Jörg Hennecke

Lindemann zwickte es im Rücken, der Schmerz vergällte ihm die Lebensfreude. Also investierte er zehn Euro Eintritt und besuchte seinen bewährten Hausarzt. Der war gar nicht zufrieden mit dem Patienten- „Wie, Sie rauchen immer noch? Was rauchen Sie denn?“ „Tabak“, bekannte Lindemann, aber das wollte der Medizinmann nicht wissen, sondern wie viele Zigaretten er pro Tag zu blauem Dunst verqualmte. „Was, so viele“, stöhnte er, ehe Lindemann überhaupt antworten konnte. Ärzte müssen so reagieren, das verlangen die Krankenkassen von ihnen. Wenn man privat versichert wäre, dürften es sicher einige Glimmstängel mehr sein, dachte Lindemann.
„Sofort aufhören, heute noch“, verordnete der Arzt hilfreich. Lindemann fiel ein, dass er eigentlich nicht wegen Lungenpfeifen gekommen war, sondern wegen der Wirbelsäule. Unbeirrt fuhr der Arzt sein nächstes Geschütz auf. „Sie haben 25 Kilo Übergewicht. Das muss ihre Wirbelsäule schleppen, tagein, tagaus, treppauf, treppab. Und ihr Herz pumpt verzweifelt gegen die Fettmasse an.“ Lindemann mochte kein Mitleid für Wirbelsäule und Herz empfinden. War er es nicht selbst, der ins Schnaufen kam, wenn er zwei Stockwerke im Haus überwinden musste? War es nicht sein Problem, die Bierkiste in die 2. Etage zu wuchten? Konnte man nicht erwarten, dass sich Rücken und Herz dabei einigermaßen solidarisch verhielten? „Sie müssen abnehmen“, verordnete der Arzt. „Heute noch?“, wollte Lindemann wissen, weil er sich für den Abend einen Schweinebraten gekauft hatte. „Heute noch“, bestätigte der Mann im weißen Kittel.

„Welche Diät verschreiben Sie mir?“

„FDH“.

„FD…was?“

„Friss die Hälfte“.

Lindemann dachte an seinen Schweinebraten und überlegte, welche Hälfte wohl am leckersten sein könnte. „Hilft das?“ „Garantiert.“ „Aber es heißt doch: ‚Viel besser als ein guter Wille, wirkt manchmal eine gute Pille‘.“ „Wilhelm Busch war kein Mediziner.“ Lindemann verabschiedete sich und der Arzt verließ die Praxis. Wohin? Würde er jetzt erst mal eine Gauloises ohne Filter durchziehen? Oder bei Max Walloschke ein Eisbein mit Sauerkraut? Im Park sah er dann den Mann joggen und schwitzen. Er wusste in diesem Moment, dass man sich in Würde zu seinem Körper bekennen sollte.

Im Schweiße des Angesichts

von Kersten Flenter

Bülent Mittelschmidt kam spät zum Kiosk und seine Zunge baumelte aus der keuchenden Öffnung an der Frontseite seines Kopfes als wollte er einer alternden Boxerhündin beim Hecheln Konkurrenz machen. Stroganow öffnete ihm ein Alster und Mittelschmidt leerte es in einem Zug. Nach dem dritten halben Liter hatte er sich halbwegs eingekriegt beziehungsweise fühlte sich in der Lage für halbsinnvolle Kommunikation. „Was`n los?“, wollte ich wissen. Wahrscheinlich hatte Bülent einen neuen Praktikumsplatz. „Nee“, ahnte er meine Gedanken, „ich hab einen Job. Mit Bezahlung und so.“ „Jetzt sag nur noch, deiner Qualifikation entsprechend!?“ „Welche meinst du?“ „Jaja, Mittelschmidt“, gähnte Stroganow und pellte sich ein Überraschungsei drauf. „Ich trag jetzt Post aus“, gestand Mittelschmidt. „Das lob ich mir“, sagte ich, „ein ehrenwerter Beruf mit Tradition.“ Mittelschmidt allerdings sah nicht aus, als könnte er diesen Umstand feiern. ER stieg von Alster auf Bumbier um, exte ein paar davon und wackelte mit den Augen. Dann ließ er es raus. „Wir leben im 21. Jahrhundert“, begann er, „und dennoch gibt es in der List, wo ich meine Tour gehe, noch etliche Häuser ohne Briefkästen. Wusstet ihr das?“ „Das wussten wir nicht“, gestand ich. „28 Häuser“, sagte Bülent, „28 Häuser hab ich in meiner Tour, die ich hoch und runter laufen muss, um Briefe und anderes Papiergut durch Schlitze zu werfen. Vier bis fünf Stockwerke. Stellt euch das mal vor.“ Stroganow sah ihn neidisch an. „Freu dich doch. Kostenloses Fitnesstraining. Spart die Diät. Du musst das sportlich sehen. Arbeitest an deinen Beinmuskeln, ohne etwas dafür zu bezahlen.“ „Genau“, sagte ich, „wenn ich im Sommer im Gartenbau jobbe, zieht mir mein Boss jedes Gramm Muskelmasse wieder vom Lohn ab. So arbeitet man heute.“ Aber Mittelschmidt klang irgendwie nicht überzeugt. „Bewegung hin, Schlitze her. Ich hab ja schon einiges gemacht, aber hierbei wird mir wieder einmal unmittelbar klar, was nutzloses Tätigsein ist. Ich trage das Horn auf dem Rücken und ich habe das hässliche Antlitz des Kapitalismus gesehen!“ „Dein Bankberater wohnt auf deiner Tour?“, fragte Stroganow. „Nein“, sagte Mittelschmidt, „ich meine den Kreislauf des großen Nichts. Jemand stellt Produkte her, die keiner braucht. Um sie zu verkaufen, muss er Reklame machen. Diese Reklame trage ich in eingeschweißten Tüten in jeden Haushalt, wo sie ungelesen wieder ins Altpapier geworfen wird.“ „Du denkst mal wieder zu kleinkariert“, erklärt Stroganow, „es geht doch nicht darum, ob etwas gebraucht wird, oder gar Sinn macht. Es geht darum, Leute zu beschäftigen und ihnen die Illusion zu geben, sie täten etwas. Für den Geldkreislauf ist der Mensch völlig unwichtig, also muss er unterhalten werden.“ „Und du, Mittelschmidt, unterhältst dich jetzt eben mit Treppensteigen. Ist doch knorke. Könnte doch schlimmer kommen“, merke ich an. „Wie, schlimmer?“ „Du könntest zum Beispiel aus der List nach Linden strafversetzt werden und müsstest dann Stroganow die Post bringen. Die ganzen Wendy- oder Rätselheft-Abos.“ „Na und?“, mischte Stroganow sich ein, „ich hab schließlich auch ein Recht auf Unterhaltung. Ihr seid ja nur noch am Jammern.“ Mittelschmidt seufzte. „Na, immerhin hab ich nur nen Zeitvertrag“, sagte er. „Was denn sonst?“, wollte ich wissen, aber Mittelschmidt war schon unterwegs nach Hause, um ein paar Kniebeugen zu machen.

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