Lindemann & Stroganow

Hans-Jörg Hennecke und Kersten Flenter

Video: Christine Kraatz-Risch - Musik: Wohnraumhelden

Hypo Stroganow Kreditbank Unlimited

von Kersten Flenter

Stroganow verschränkte seine Arme vor der Brust und beschimpfte mich durch die Luke seines Kiosks. „Du kriegst hier nichts mehr!“ „Komm schon, eine Bionade noch….“ „Nix da. Du hast noch eine ganze Kiste Bionaden Schulden bei mir. Wenn du weiter Kredit haben willst, trink endlich wieder Bier.“ „Aber du weißt doch, dass ich aufgehört habe.“ „Eben. Und das soll ich gutheißen, gar fördern? Versteh doch mal meine Situation, Mann! Und was soll das überhaupt mit dem Bierverzicht?“ „Ich möchte mich wieder spüren.“ „Was spüren?“ „Probier es mal aus“, sagte ich, „wenn du zwei Wochen keinen Alkohol trinkst, merkst du, dass du nichts als eine leere Hülle bist, die mit irgendwas gefüllt werden muss. Ich geh jetzt lieber joggen.“ „Gefasel“, antwortete Stroganow, „du willst nur von deinen Schulden ablenken.“ „Ach Schulden, papalapapp! Der Schuldbegriff ist eine Geißel des Christentums. Wir müssen uns davon lösen!“ „Wie denn? Sollen wir alle zum Islam konvertieren?“ „Soll man Vogelgrippe mit Schweinegrippe bekämpfen?“ „Wie wäre es“, überlegt Stroganow, „mit einer massenhaften kostenlosen Opiumabgabe ans Volk?“ „Also doch Religion, oder was?“
So kamen wir nicht weiter. Schulden, Geld, Religion, oder alle drei – vier Fragen, keine Antwort. Aber Geld regelt nun mal die Beziehungen unter den Menschen. „Ich dachte, das ist Aufgabe der Politik?!“, kommentierte Stroganow meinen unausgesprochenen Gedanken. „In welchem Jahrhundert lebst du denn?“, fragte ich und überlegte weiter: Wenn Geld meine Beziehungen regelt, dann schaffen meine Schulden doch Nähe und Zuwendung. Begriffe, die durchaus positiv besetzt sind. Ergo sind Schulden nichts Schlimmes, sondern helfen uns, uns überhaupt noch miteinander zu beschäftigen. Geld ist ein Fetisch, eine spezielle sexuelle Vorliebe von uns, die die Leere zwischen den Menschen füllen soll. 20% der Menschheit nimmt am gesellschaftlichen Leben teil, der Rest muss unterhalten werden. Mit Arbeit und NEUN LIVE – Sendungen. Wieder las Stroganow meine Hirnaktivitäten. „Aber die Arbeit wird doch immer weniger.“ „Und die NEUN LIVE-Welt wird immer größer“, ergänzte ich, „damit aber die NEUN LIVE-Welt bewohnbar ist, braucht das Land mehr Arbeitslose, und zwar schnell.“ „Kommen schon“, bemerkte Stroganow, „nach der Bundestagswahl.“ „Wieso erst danach?“ „Du weißt doch, es gibt ein Stillhalteabkommen zwischen Bundesregierung und Wirtschaftsvertretern bis zur Wahl. Die Konzerne warten bis nach der Wahl mit neuen Entlassungen, die Bundesregierung behauptet dafür solange, die Rezession nimmt ab und verführt die Leute, ihr nicht mehr vorhandenes Erspartes weiter für Mobilfunk- und Fernsehtechnologie rauszuschmeißen. Oder es den Banken als Spielgeld zu leihen.“ „Also haben doch im Prinzip nicht wir bei den Banken Schulden, sondern umgekehrt“, fiel mir ein. „Das ist richtig“, sagte Stroganow. „Na, dann lass uns gleich mal einen Termin machen, und fragen, wann sie uns unsere Kreditzinsen zurückzahlen.“ „Damit du endlich deine Bionaden bezahlen kannst!“ „Aber nur die Holunder“, erklärte ich, „die anderen haben mir gar nicht geschmeckt.“

Was sollen die Leute von uns denken?

Von Hans-Jörg Hennecke

„Also, hört mal her, ihr Politiker.“ Oma Kasten aus dem ersten Stock war außer sich. „Das ist doch nachgerade peinlich, ihr mit euren Schulden. Was sollen denn die Leute von uns denken? Zwei Billionen in der Kreide ...“
Doch kein Politiker hörte hin, denn die waren gerade mal wieder mit Wahlkampf beschäftigt. Dafür hörten Lindemann und Nachbar Stokelfranz, wie Oma Kasten den Mächtigen die Leviten las.
„Zwei Billionen? Die Zahl passt doch auf kein Blatt Papier.“ Stokelfranz schüttelte den Kopf. Als Hartz IV-Empfänger waren seine Zahlen überschaubar. „Das sind zwei Millionen Millionen“, versuchte Lindemann das Drama in Worte zu fassen. Keiner begriff es, denn soviel Geld konnte es gar nicht geben. Erst recht konnte das niemand verballert haben, nicht mal die Bundesregierung, der man im Guten wie im Schlechten so ziemlich alles zutraute. Nur nicht den kategorischen Imperativ des Immanuel Kant: Handele stets so, dass die Maxime deines Willens Grundlage einer allgemeinen Gesetzgebung sein könnte. Das bewegte Oma Kasten. Immerhin wusste sie aus Lebenserfahrung: Wenn die da oben das große Geld brauchen, holen sie es sich sowieso bei denen da unten.
„Das Geld muss zurückgezahlt werden. 25.000 Euro pro Nase, ich habe es ausgerechnet.“ Stokelfranz kniff die Augen zusammen. „Wie soll ich mit Hartz IV…“ „Na schön“, entschied Oma Kasten weise, „die zahlungskräftige Hälfte des Landes zahlt für die andere Hälfte mit. Also 50.000.“ Lindemann bekam weiche Knie. “Das sind für eine vierköpfige Familie 200.000 Euro. Wie soll das gehen?” Oma Kastens Entschlossenheit war nicht zu erschüttern. „Ich habe 50.000 gespart. Ja, da müssen die Leute mal nicht in Urlaub fahren und nicht dauernd ein neues Auto kaufen. Und wenn das nicht reicht, bringt es ein Kredit. Jedenfalls muss der Staat runter von den Schulden. Ich schreibe gleich einen Brief an Frau Merkel und Herrn Steinmeier.“ Oma Kasten war verschwunden und ließ zwei ratlose Nachbarn zurück. Lindemann traf die alte Dame erst am nächsten Nachmittag wieder. Sie schien kleinlaut, vielleicht auch etwas missmutig und wartete keine Frage ab: „Nein, ich habe keinen Brief nach Berlin abgeschickt.“ „Ist vielleicht auch besser so“, tröstete Lindemann. „Ja“, bestätigte sie, „ist besser so. In meinem Senioren-Club sagen alle, Schulden gehören heute einfach dazu. Stellen Sie sich vor, die stehen fast alle bei der Bank in der Kreide. Und wissen Sie, was unser Club machen will? Nach Berlin fahren. Ich soll ein Bettlaken beschriften: ‚Mit 66 Jahren fängt das Leben an.' Damit wollen wir auf der Love-Parade marschieren.“

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