Lindemann & Stroganow

Der Opa Trick / Totenruhe

Gelesen von Kersten Flenter und Hans-Jörg Hennecke

Video: Christine Kraatz-Risch - Musik: Wohnraumhelden

Der Opa Trick

von Kersten Flenter

Im Sommer, wenn auf den Heavy Metal-Festivals die ergrauten Langhaarigen headbangend am Rollator vor der Bühne stehen, offenbart sich unser Rentnerproblem immer eklatant. Menschen, die in den 80er Jahren des letzten Jahrhunderts angeblich keine Zukunft hatten, wetten jetzt gemeinsam mit ihrem Nachwuchs auf Rohstoffressourcen, um sich für das nicht mehr allzu ferne Ufer des Altenteils abzusichern. Die Aufrechten unter ihnen bilden Banden und überfallen KINDFillialen, werden aber häufig auf der Flucht geschnappt, weil sie durch die als Tarnmasken über die Köpfe gezogenen Stützstrumpfe nicht richtig gucken können. Ein Drama. Wir stehen wie gewohnt an Stroganows Kiosk und klagen. Die Menschen werden immer älter, das Renteneintrittsalter soll entsprechend hochgesetzt werden. Stroganow und Mittelschmidt halten meinen soeben eingebrachten Vorschlag dazu für Nonsens, aber ich finde, er ist des Nachdenkens wert: wir sollten, meine ich, jedem wann er will für einen festgelegten Zeitraum von 20 Jahren Rente zahlen. Wir Altpunks, die eh keine Zukunft haben, können damit schon im Alter von 20 ganz locker das Pensionistendasein angehen, und diejenigen, die meinen, auch mit 70 noch fit genug für einen prekären Job zu sein, können ihren Renteneintritt hinauszögern und Neunzig werden. Wer sich verschätzt und nach 20 Jahren Rente noch lebt, hat eben Pech gehabt und muss weitersehen, immerhin ist er ja dann noch fit genug und kann Banden bilden. Ich finde das sehr schlüssig, und richtige Gegenargumente finden Stroganow und Mittelschmidt auch nicht, aber die denken ja auch nie lange genug nach. Alles was Mittelschmidt einfällt, ist folgende Anekdote, die ihm letztens widerfuhr und ihn nachhaltig verwirrt zurückließ.
„Also“, erzählte Mittelschmidt, „da klingelt mein Handy und ich höre ne Seniorenstimme: Hallo, ich bin Harry, dein Patchwork-Opa dritten Grades, der Vater des Onkels deiner ehemaligen Stiefmutter. Ich brauche dringend 5000 Euro für ein neues Hörgerät, du hast die Summe doch sicher irgendwo in Aktien liegen. Kann ich gleich rumkommen und mir das Geld abholen? Ich kapier gar nichts und stammel nur was von „Ja klar, sicher, komm vorbei“, und ne halbe Stunde später stehen diese beiden Großväter vor meiner Tür, der eine sagt er sei Harry, wir hätten telefoniert, und er hätte einen Freund mitgebracht. Ich lass die beiden rein, Geld hab ich natürlich keins, wir erzählen ein wenig über die Frage, ob Keith Morris oder später Henry Rollins die bessere Gesangsbesetzung bei BLAG FLAG war, wir trinken Doppelherz mit Aperol, und als sie gehen, sind mein iPad und meine Kondome verschwunden. Ich meine, in was für Zeiten leben wir eigentlich?“
„In gefährlichen“, sagt Stroganow. „Genau“, pflichte ich ihm bei, „alles steht Kopf.“ „Und was tun?“, fragt Mittelschmidt. „Bald sind Wahlen“, erklärt Stroganow, „und da mach ich mein Kreuz bei der Partei, die für schlechtere Gesundheitsversorgung eintritt.“ Ich seufze.

Totenruhe

Von Hans-Jörg Hennecke

Der Mann heißt Rudolf Hirsch und wohnt in der Dieckbornstrasse 78.“ Zeuge ist Zeuge, dachte Sauerbier und machte sich auf den Weg. Er traf den Rentner in seiner Wohnung an. Der trug einen altmodischen Morgenmantel in Dunkelbraun, zerschlissene Pantoffeln und hatte den Gang ins Badezimmer wohl noch vor sich, ungekämmt wie die wenigen Haare waren, die er noch besaß. „Sind Sie Herr Hirsch?“ „Sieht man das nicht“, blaffte der Mann, der kein Geweih trug, dafür aber eine schwere Hornbrille. Er zeigte vorwurfsvoll auf das Türschild mit seinem Namen.
„Ich bin Pastor Sauerbier“, stellte sich der Besucher vor, was den Rentner Hirsch veranlasste, blitzschnell die Tür zuzuschlagen. „Die Zeugen Jehovas können mir gestohlen bleiben“, raunzte er durch die geschlossene Pforte. „Mir auch“, bekannte Sauerbier und bestärkte seine Aussage durch lang anhaltendes Klingeln. „Ich will etwas über schwarze Messen hören. So machen Sie doch auf.“ „Sind Sie von der Zeitung?“ „Ja“, log Sauerbier. Da ihm ein entsprechendes Gottesgebot einfiel, relativierte er. „Ich komme wegen der Zeitung.“ Der Rentner öffnete die Tür, schaute misstrauisch, ob sich hinter Sauerbier nicht doch Prediger der Sekte verbargen. „Ich bekomme noch Honorar, das ist mir versprochen worden.“ „Na klar“, bestätigte Sauerbier großzügig und durfte eintreten. Hirsch wies ihm einen Stuhl am Küchentisch zu. Eine leere Kaffeetasse und ein Stapel Zeitungen waren die einzige Tischdekoration. Die Luft war verbraucht und Sauerbier hoffte, dass ihm sein Gastgeber keinen Kaffee anbot. Der dachte nicht daran und schaute durch lupenstarke Brillengläser fordernd auf den Besucher.
“Wie sind Sie darauf gekommen, dass auf dem Friedhof schwarze Messen abgehalten werden?“ „Da war ein Kreuz.“ „Wo?“ „An der Kapelle.“ „Ist es nicht mehr da?“ „Weiß ich doch nicht.“
„Das ist ein Friedhof im christlichen Kulturkreis, da sind überall Kreuze. Nicht nur an der Kapelle“, belehrte Sauerbier. „Aber nicht so eins“, beharrte Hirsch bockig.
„Was denn für eins?“ Sauerbier wurde ungeduldig. „Na, eben andersrum. Es stand auf dem Kopf.“ „Und das ist ein Zeichen für schwarze Messen?“
„Das hat der Kerl von der Zeitung gesagt. Was ist nun mit meinem Honorar?“ Das wusste Sauerbier auch nicht. Aber dass kopfstehende Kreuze Zeichen der Satanisten sein konnten, war ihm schon geläufig.

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